7.1.2.  Rechtliche und politische Argumente

Ein Problem, das ich derzeit für noch gravierender halte, ist jedoch die aktuelle Praxis, gegen Tauschbörsennutzer vorzugehen. Weiter oben hatte ich ja bereits geschrieben, welche Probleme bei der Ermittlung des Übeltäters auftreten können. Hinzu kommt, dass das Amtsgericht Hamburg-Altona9 festgestellt hat, dass es sich bei der Abmahnpraxis um Rechtsmissbrauch handele. Denn im §226 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen.” Durch die Anklage bei der Staatsanwaltschaft wird ja schon für eine Bestrafung gesorgt, um eine Wiederholung der Tat zu vermeiden. Wenn jetzt aber gleichzeitig eine Abmahnung mit demselben Ziel geschrieben wird, so ist diese überflüssig und kann somit nur darauf abzielen, dem Beschuldigten Schaden zuzuführen. Wird andersherum eine Anklage nur deshalb gestellt, um an die Daten zu gelangen, wobei man ohnehin davon ausgeht, dass das Verfahren eingestellt werden würde, dann ist dies ein Missbrauch der Staatsanwaltschaft und somit auch von Steuergeldern, durch die sich die Staatsanwaltschaft finanziert. Weiterhin sah der Richter eine Mittäterschaft der Staatsanwaltschaft darin, dass sie personenbezogene Daten weitergebe, was von der Strafprozessordnung nicht legitimiert sei; speziell gelte dies für die Weitergabe von Daten bei eingestellten oder voraussichtlich einzustellenden Verfahren. Oftmals wird, um Arbeit zu sparen, bei der Abfrage der Personendaten vom Internetanschlussanbieter gar auf eine richterliche Genehmigung verzichtet. Zudem kommt die Abmahnung dem Tatbestand einer Nötigung gleich, da der Beschuldigte durch Androhung eines teuren Rechtsstreites zur Abgabe einer Unterlassenserklärung und Zahlung einer Gebühr gebracht wird. In dem Urteil ging es darum, dass ein irrtümlich Abgemahnter geklagt hatte.10

Aus diesem Grund halte ich es beim derzeitigen Stand der Technik für die beste Lösung, das Kopieren - auch über Tauschbörsen- im Sinne der Privatkopie zu erlauben, so dass Werke angeboten und bezogen werden dürfen. Sollte ein finanzielles Interesse bestehen, das über die eigene Versorgung mit Informationsgütern hinausgeht, ist dies grundsätzlich nicht zu gestatten.

Bei der derzeitigen Rechtslage ist eher ein Wettrüsten zwischen Anonymisierungstechniken und neuen Ermittlungsprogrammen zu erwarten. Ein weiterer ökonomischer Grund unterstützt diese Forderung, denn laut Shapiro und Varian werde ein Informationsgut einen höheren Wert haben, je einfacher es zu kopieren sei.11 Man sollte die Werke also nicht dadurch entwerten, indem man das Kopieren erschwert und somit eine künstliche Knappheit schafft.

Eine effiziente Verteilung nach dem Pareto-Kriterium bedeutet nämlich, dass niemand besser gestellt werden kann, ohne gleichzeitig einen anderen schlechter zu stellen. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, so ist das Marktergebnis nicht optimal. In diesem Fall muss gegebenenfalls geprüft werden, ob der Staat regulierend eingreifen sollte. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Eingriff andere Probleme mit sich bringen kann, weshalb Vor- und Nachteile abgewogen werden müssen.12

Ich hatte ja bereits das Problem des öffentlichen Gutes beschrieben, das daher rührt, dass man aus technischen Gründen nicht mehr kontrollieren kann, wer Informationsgüter konsumiert, denn über die Internettauschbörsen kann praktisch jeder zugreifen und nicht nur derjenige, der eine CD oder einen Download bezahlt. Dieser Punkt kann dazu führen, dass Informationsgüter nicht mehr in ausreichendem Maße angeboten werden. Weiter unten werde ich fragen, ob es Möglichkeiten gibt, die ja vorhandene Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abzuschöpfen, und somit das Produzieren von Informationsgütern aus der betriebswirtschaftlichen Sicht eines Anbieters lohnenswert zu machen. Aber selbst bei gegebener Ausschließbarkeit, die bis zum Aufkommen einfacher Kopiermöglichkeiten gegeben war, liefert der Informationsmarkt kein optimales Ergebnis. Nehmen wir an, es gibt eine weitgehende Ausschließbarkeit im Konsum und der Musikdownload hat einen festen Preis, wobei seine Erstellung zwar hohe Fixkosten, doch das Downloaden selbst keine weiteren variablen Kosten verursacht.

Somit würden all diejenigen den Download kaufen, deren Zahlungsbereitschaft gleich dem Preis oder größer ist. Es gibt aber noch Nachfrager, deren Zahlungsbereitschaft zwischen Null und dem Preis des Downloads liegt. Würde man diesen den Download zu einem geringeren Preis, z.B. kostenlos, ermöglichen, so würden diese Nachfrager besser gestellt werden. Da ja der einzelne Download keine Kosten verursacht, würde dabei Niemand schlechter gestellt werden. Die Praktik des Downloadens zu einem fixen Preis würde also kein optimales Ergebnis erzielen, der Markt hat somit versagt, auch wenn er nicht zusammenbricht. Daher wird ein Informationsgut umso wertvoller, je einfacher es kopiert werden kann, so dass das Kopieren über Tauschbörsen erlaubt werden sollte. Das nächste Kapitel wird sich ausführlich den Konsequenzen auf der Angebotsseite widmen. Das Beispiel ist im Grunde auch auf die CD anwendbar, jedoch dürfte ihr Preis niemals unter ihre Produktions- und Auslieferkosten sinken. Ein anderer Grund für ein Marktversagen ist der Fakt, dass Informationen Erfahrungsgüter sind. Man kann ihren Wert grundsätzlich erst einschätzen, wenn man die Information konsumiert hat. Die Konsumenten verfügen bei der Kaufentscheidung somit nicht über alle relevanten Informationen.

Weiterhin wird die Wirksamkeit der Klagen gegen Tauschbörsennutzer stark angezweifelt: Sie hätten keinen Sinn, würden nur Geld kosten und die Kunden vergraulen. Die Schadenersatzzahlungen genügten nur, um die Rechtsmittel zu finanzieren und verlorene Verfahren zu bezahlen. Der Effekt auf die Verbreitung der Dateien sei jedoch gleich null. Aus diesen Gründen wird prognostiziert, dass man sich in Zukunft von dieser Strategie abwenden wird.13

9Aktenzeichen 316 C 127/07

10vgl.: Reinholz, Jörg: Kanzlei Rasch und proMedia GmbH: Schlappe für gewerbsmäßigen Abmahner: Die Weitergabe der hinter der IP-Adresse stehenden Personendaten an Abmahnkanzlei ist rechtswidrig. Netzartikel vom 26.12.2007. online: http://rotglut.org/nachricht,810,Kanzlei+Rasch+und+proMedia+GmbH+Schlappe+fuer+gewerbsmaessigen+Abmahner(19.04.2008 23:50)

11vgl.: Shapiro, Carl und Varian, Hal R.: Information Rules - A Strategic Guide to the Network Economy. McGraw-Hill Professional, New York 1999, 94.

12vgl.: Lennartz, Norbert: Marktversagen. online: http://home.arcor.de/danneskjoeld/F/E/T/Marktversagen.html(15.05.2008 15:00)

13vgl.: o.V.: RIAA - Das Ende der Filesharing-Klagen? Netzartikel vom 02.10.2007. online: http://www.gulli.com/news/riaa-das-ende-der-filesharing-2007-10-02/(28.04.2008 16:00)

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